Nahverkehr ist nicht nur vernünftig und richtig, sondern kann manchmal auch viel Spaß machen. Das habe ich am 11. Juni 2006 gelernt, bei meinem Sommermärchen in Altwarmbüchen.
Gibt es etwas Schöneres, als sich mitten im Winter an ein Sommermärchen zu erinnern? An den warmen Abendwind, die stechende Mittagssonne, den Geruch von frisch gemähtem Gras, an lange Abende auf dem Balkon und Sonnenaufgänge um fünf Uhr?
Nimmt man das und zieht eine Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land hinzu, mit Torjubel im Biergarten und Grillfesten mit Freunden, dann hat man ein Sommermärchen – so geschehen im Deutschland des Jahres 2006. Die ansteckende Begeisterung über den Fußball der jungen deutschen Mannschaft erfasste ein ganzes Land und wirkte auf alle, die aus dem Ausland kamen um dabei zu sein, sympathisch und freundlich. Und dazu wochenlanges Traumwetter. Es passte alles perfekt: Vom ersten Tor durch Philipp Lahm gegen Costa Rica nach sechs Minuten bis zu den Traumparaden Oliver Kahns im Spiel um den dritten Platz gegen Portugal (Endstand 3:1).
Mir ist dieser Sommer noch aus einem anderen Grund in Erinnerung geblieben: wegen der Streckenverlängerung nach Altwarmbüchen. Ich war nach der Expo 2000 zur ÜSTRA gekommen und hatte dort bereits die Verlängerung nach Anderten miterlebt: Von der Station Tiergarten ging es mit der Linie 5 weiter über die neuen Stationen Ostfeldstraße (früher Endpunkt Kirchrode) und Königsberger Ring zum neuen Endpunkt Anderten. Eingeweiht wurde die verlängerte Strecke im Dezember 2002, weswegen ich mich vor allem an die eiskalten Füße erinnere, die ich mir auf der kleinen Einweihungsfeier zuzog.
Vier Jahre später dann: Altwarmbüchen! Der Sommer 2006 hatte sich lange Zeit nicht blicken lassen, bis tief in den Mai hinein war es herbstlich kalt geblieben, hatte der Himmel voll grauer Wolkenberge gehangen. Einige exotische Fußballmannschaften lernten in ihren Trainingslagern den ersten Schnee ihres Lebens kennen. Aber dann kam der Sommer mit all seiner Pracht und Herrlichkeit.
Am 11. Juni 2006 wurde die neue Stadtbahnstrecke nach Altwarmbüchen eingeweiht, zwei Tage nach dem Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft in München, in dem neben Philipp Lahm noch Torsten Frings und zweimal Miroslav Klose für den 4:2-Sieg Deutschlands über Costa Rica sorgten (Paulo Wanchope traf zweimal für die Mittelamerikaner).
Seit April 2004 hatte die Infrastrukturgesellschaft als Bauherrin die neue Strecke errichten lassen, ab Lahe/Haltestelle Paracelsusweg, 4,6 Kilometer lang, mit sechs neuen Haltestellen, davon vier in Altwarmbüchen, das bekanntlich zur Gemeinde Isernhagen gehört. 1956 hatte die ÜSTRA die über den Fasanenkrug führende alte Strecke nach Isernhagen eingestellt, nun erschloss sie mit der Stadtbahn die Nachbargemeinde wieder, wenn auch an anderer Stelle. Nach Laatzen, Langenhagen und Garbsen kam als vierter Nachbarort Isernhagen zurück ins ÜSTRA Netz. Sozusagen ein vierblättriges Kleeblatt.
Die erste Stadtbahn, die die neue Strecke befuhr, war gerammelt voll mit Ehrengästen, ich stand mittendrin und saugte das ganze Erlebnis auf. Draußen entlang der Gleise standen die Menschen drei Reihen tief und jubelten der Stadtbahn zu. Die Stimmung an der Strecke und in der Stadtbahn war fröhlich und ausgelassen, man blickte in glückliche Gesichter, wohin man schaute. Fähnchen wurden geschwenkt, Luftballons stiegen auf. Am Endpunkt stand eine unüberschaubare Menschenmenge und feierte unsere Ankunft.
War es die Freude, wieder Teil des Stadtbahnnetzes zu sein und damit etwas Großes mit anderen teilen zu können? Hatte die Fußballbegeisterung, die damals das ganze Land erfassen sollte, Altwarmbüchen bereits im Griff? War es das herrliche Wetter?
Vermutlich war es alles zusammen. Ich jedenfalls habe damals an diesem Tag gelernt, dass Nahverkehr nicht nur vernünftig, gut und richtig ist, sondern manchmal auch richtig viel Spaß machen kann. So wie ein Sommermärchen.