Durch die riesigen Busfenster erschien mir die Welt unendlich weit. Mein Gesicht klebte an der Scheibe. So saugte ich die Eindrücke des unendlichen Feldpanoramas auf der B65 zwischen Sehnde und Hannover auf. Kurz zuvor sagte mein Vater an diesem Sonntagvormittag zu mir: „Heute fahren wir nach Hannover und zwar mit dem Bus!“ Das ist die erste Erinnerung, die ich an die Linie 370 habe. Und von diesem Tag an, sollte diese Buslinie in Kindheit und Jugend mein stetiger Begleiter und mein Tor zur großen Stadt sein.
Im Vergleich zu Hannover ist Sehnde winzig: Weniger als 25 Tausend Einwohner – inklusive der umliegenden Dörfer. Der Slogan der Stadt „Ganz nah‘ draußen“ ist passend. Irgendwie ist Sehnde draußen, aber mit den Öffis schafft man es gut nach Hannover – dank der ÜSTRA! Meine erste Fahrt mit dem Bus nach Hannover machte ich also in Begleitung meines Vaters. Wahrscheinlich wirkte ich mit sechs Jahren und knapp 1,10 Metern Körpergröße in den beigen Schalensitzen mit olivgrüner Kopfstütze noch etwas verloren.
Mit jeder Ortschaft konnte ich beobachten, wie die Umgebung städtischer wurde. Die Feldlandschaft wandelte sich nach und nach in Industriegebiete und große Wohnsiedlungen. Eine Metamorphose vom Bauernhof zum Hochhaus. Für einen Sechsjährigen eine große Sache – im wahrsten Sinne des Wortes. Bei meiner ersten Reise war bereits an der Ostfeldstraße in Kirchrode Schluss. Zu dieser Zeit noch als Stadtbahnanschluss ausgewiesen, durfte ich kurz vor dem Stopp erstmalig den Haltewunsch-Knopf drücken. Ein „Plinck“ ertönte und der Bus hielt an. „Das ist Timos erste Fahrt bis nach Hannover“, sagte mein Vater zum Busfahrer, der uns beeindruckt zunickte. Dass diese gespielte Begeisterung womöglich ein wenig überzogen war, konnte ich damals noch nicht einordnen. Es wäre mir aber auch egal gewesen: Schließlich hatte ich gerade meine erste Fahrt mit der 370 erfolgreich bewältigt.
sprintH: Die 370 wird zur 800
Genau genommen hieß die 370 damals noch 37/38. Doch daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Für mich war und ist es auch noch immer die 370 – auch wenn die Linie seit dem Fahrplanwechsel den neuen Liniennamen 800 trägt. Die 800 (also „meine“ 370) ist ab sofort eine von insgesamt sieben Linien, die unter dem Slogan sprintH fahren. Alle sieben Linien verbinden das Umland mit der Stadt Hannover – entweder direkt oder im Anschluss an die Stadtbahnen oder Regionalzüge. Sechs werden von der regiobus und eine – nämlich die 800 – von der ÜSTRA gefahren. Die Vorteile der neuen sprintH Linien: Bessere, leicht merkbare Takte und (bei der ÜSTRA in den kommenden Jahren) neue Fahrzeuge, die deutlich umweltschonender und komfortabler sein werden.
Mit dem Bus durch die Jugend
Spätestens seit meiner Jugend habe ich die 370 täglich genutzt. Egal ob bei brütender Hitze, stürmischem Regen oder Schnee. Abfahrt in Sehnde an der Haltestelle „Waldstraße“ und dann ging es zu Freunden nach Ilten oder Bilm, zum Handballtraining nach Hannover-Anderten oder bis in Hannovers Südstadt zum Altenbekener Damm, fußläufig zum Maschsee. Die 370 brachte mich überall hin.
Unzählige Stunden habe ich in den Bussen dieser Linie verbracht. Stammplatz im hinteren Teil des Busses mit Musik auf den Ohren. Zuerst mit Walkman, dann mit Discman und zu Oberstufenzeiten bereits mit einem MP3-Player ausgestattet, spielte sich der Soundtrack meiner Jugend im 370er ab. Manchmal, wenn ich noch mit der Linie 370 fahre, werden die alten Songs von damals rausgekramt und ich schwelge in Erinnerungen.
Eine besondere Linie – nicht nur für mich
Während dieser, ich nenne sie hier mal, Nostalgiefahrten, fällt mir häufig auf: die Linie 370 beziehungsweise 800 ist eine ganze besondere – und das nicht nur für mich. Rund 4.000 Fahrgäste nutzen die Linie an einem Werktag. Zwei Drittel davon sind Schüler und Pendler. Wobei bei weitem nicht alle vom Umland nach Hannover fahren. Es gibt auch Fahrten innerhalb Hannovers oder Fahrgäste, die aus Hannover raus zur Arbeit fahren. Hot Spots sind an dieser Stelle das Gewerbegebiet in Höver oder das Frachtpostzentrum an der Haltestelle „Kleiner Holzhägen“. Als Schüler habe ich ebenfalls dort gearbeitet. Anreise zur Spätschicht: natürlich mit der 370.
Von Hannover bis nach Mehrum, doch warum?
Ich bin viel und weit mit dem 370er gefahren, allerdings nur in den seltensten Fällen die gesamte Strecke. Mit einer Gesamtlänge von ungefähr 30 Kilometern führt die Linie vom Altenbekener Damm, über Sehnde, bis nach Mehrum. Insgesamt ist der Bus von Endpunkt zu Endpunkt eine Stunde unterwegs.
Doch wie kommt es, dass eine Linie von Hannover bis in den Landkreis Peine fährt? Dazu lohnt ein Blick in die Geschichtsbücher: Ursprünglich war die 370 eine Straßenbahnlinie – nämlich die 15. Am 31. August 1898 eröffnet, führte die Linie 15 von Hannover bis nach Haimar – einem Dorf hinter Sehnde in Richtung Mehrum. Ursprünglich gab es sogar Planungen, die Straßenbahnstrecke bis nach Peine zu verlängern, was aber am Widerstand der Staatsbahn bzw. der damaligen Kleinbahnbehörde und an den Kosten scheiterte. Für die Linie 15 wurde in Sehnde extra ein Betriebshof gebaut, der sich an der heutigen Haltestellen Sehnde/Haydnstraße befand. Heute erinnert nur noch eine große Uhr an das damalige Betriebshofgelände.
Im Januar 1935 wurde dann der Straßenbahnbetrieb auf dem Abschnitt von Sehnde nach Haimar eingestellt. Dieser Streckenabschnitt hatte sich weder im Güter- noch im Personenverkehr gelohnt. Die Linie 15 wurde in der Folge in eine Straßenbahn- und eine Buslinie aufgesplittet: Die Straßenbahnlinie 15 fuhr weiter zwischen Hannover und dem Sehnder Betriebshof. Die „O15“ (Omnibuslinie 15) fuhr ab Sehnde zunächst bis nach Dolgen und wurde ab 1949 mit einigen Fahrten bis nach Mehrum verlängert. 1960 wurde der Straßenbahnbetrieb nach Sehnde komplett eingestellt und die Busse der O15 fuhren fortan – so wie heute – zwischen Hannover und Mehrum. Jedoch wechselten die Endpunkte in Hannover noch einige Male, genauso wie die Liniennummer. Aus der O15 wurde in den 1960ern die Linie 30 und später die 37/38, ehe „meine“ 370 im Jahr 1996 von Mehrum bis nach Hannover fuhr.
Die 370: Das Tor zur großen Stadt
Somit hat mich die Linie 370 meine gesamte Kindheit und Jugend begleitet und aus dem provinziellen Sehnde bis in die Landeshauptstadt Hannover gebracht – und auch wieder zurück. An den neuen Liniennamen 800 muss ich mich ehrlich gesagt erstmal gewöhnen. Andererseits hat diese Linie schon einige Namen überstanden und die 800 – als Teil der sprintH Linien – ist ein Zeichen der Wertschätzung. Egal mit welcher Nummer, die 370 ist eine ganz besondere ÜSTRA Linie – und sie wird auch für weitere Generationen, genau wie für mich, das Tor zur großen Stadt sein.
Weitere Infos über die neuen sprintH Linien findet ihr unter: www.sprinth.de
Gilt denn auf der Linie 800 auch das Prinzip, dass man keine Kurzstreckentickets benutzen darf, so wie bei den Regiobus-Linien 300, 500 und 700?
Oder ist auf der 800 das Kurzstreckenticket erlaubt? Und warum erlaubt man es dann nicht auch auf der 300, 500 und 700?
Wer hat denn so etwas erzählt? Seit 1.1.20 darf man in den sogenannten SrintH-Linien die Kurzstreckenkarte nutzen – also auch in der 800.
Moin Frau Wendel! Ist „SrintH-Linien“ ein Schriebfehler? Muss es nicht „SprintH-Linien“ heißen? Einen guten Rest des Jahres Ihnen und allen ÜSTRANERINNEN und ÜSTRANERN wünscht ÜSTRA-FAN Stefan Fastenau.
Oh, natürlich. Ich kaufe ein „p“. Und tausche in Ihrem „Schriebfehler“ das i und e. ;)