Heute ist Mittwoch. Wir haben wieder Vorstellungsgespräche für unsere Ausbildungsplätze. Heute kommen 25 junge Menschen, die sich um einen Ausbildungsplatz zur Fachkraft im Fahrbetrieb beworben haben. Bisher hatte ich mit den Bewerbungen noch nicht viel zu tun. Meine Kolleginnen haben sich die Zeugnisse und Anschreiben angeschaut und die Einstellungstests durchgeführt. Ich gehe also unvoreingenommen mit zwei Führungskräften aus dem Stadtbahn- und dem Busbereich in die Gespräche. Außerdem sind immer ein Kollege vom Betriebsrat und der zuständige Ausbilder dabei.
Die erste Gruppe wird vom Pförtner abgeholt. Es sind vier Jungs und ein Mädchen. Wir erleben wieder die Nervosität und die Angst der jungen Menschen. Was kommt auf sie zu, wie müssen sie sich verhalten, was ist, wenn sie eine Absage bekommen. Diese und viele weitere Fragen geistern den Bewerbern durch den Kopf. Für viele ist dies der Einstieg in den Beruf. Da wir unsere Gespräche erst im Februar / März machen, haben die meisten schon Absagen von anderen Firmen bekommen. Das steigert natürlich die Nervosität noch mehr. Wir versuchen, eine lockere Stimmung zu erzeugen, um sie zu beruhigen. Wir wissen aber, dass wir das nur sehr begrenzt können. Es folgt nun eine kurze Begrüßung und ich stelle die Kollegen vor. Während ich den Ablauf des Gesprächs schildere, fällt mir auf, dass ich mich (mal wieder) selber nicht vorgestellt habe. Mit einem kurzen Spruch erledige ich das und entlocke den Bewerbern ein kurzes Lachen, sodass sich etwas von der Anspannung lösen kann.
Das Bewerbungsgespräch
Nun wird es ernst. Wir teilen uns auf verschiedene Räume auf und jeder meiner Kollegen nimmt sich einen Bewerber. Ich bekomme Sascha Müller (17, Name geändert). Die Nervosität des jungen Mannes steigt wieder enorm an. Ich versuche, ihn zu beruhigen. Dann geht es los. Standardmäßig stelle ich unsere Fragen: „Sie wollen diesen Beruf ja hoffentlich lange ausüben. Was wissen sie denn über die Tätigkeiten?“ Sascha stottert am Anfang etwas, kommt dann aber schnell in das Thema und sprudelt los. Die Haupttätigkeit ist natürlich das Fahren. Er habe gehört, dass die neuen Fachkräfte im Fahrbetrieb jetzt beide Führerscheine machen dürfen, sowohl Bus als auch Bahn. Ich bejahe das und sehe leuchtende Augen. Dann redet er weiter. Einsatz im Kundenzentrum, in der Leitstelle und auf den Betriebshöfen. Begleiten der Kontrolleure, Mischarbeit und noch einiges mehr. Ich bin begeistert von seinem Wissen. Volle Punktzahl. Auch die Frage, was die üstra eigentlich macht, kann er souverän beantworten. „Die üstra befördert Fahrgäste mit Bussen und Bahnen.“ Bei den Nebentätigkeiten kann er auch noch einige gute Antworten geben. Hier bekommt Sascha ebenfalls die volle Punktzahl. Gestern hatte ich einen jungen Mann im Gespräch, der auf diese Frage geantwortet hat: „Äh … Straßenbahn …. und Busse!“ Da bei diesem keine weiteren Antworten kamen, war die Punktzahl auch sehr übersichtlich.
Ich stelle Sascha noch einige weitere Fragen und bin sehr zufrieden. Wir gehen zurück in den großen Raum und meine Kollegin erklärt die nächste Übung. Jeder bekommt einige Karten mit Informationen drauf. Die Bewerber dürfen sich die Karten zwar nicht zeigen, aber vorlesen oder an die Flipchart schreiben. Sie sollen gemeinsam die Lösung erarbeiten. Es gehe aber vor allem darum, dass wir beobachten, wie die Bewerber miteinander umgehen. Die jungen Menschen sind zu diesem Zeitpunkt schon in ihre Karten vertieft. Ich stelle mir insgeheim die Frage, ob sie den letzten Satz überhaupt noch gehört haben. Das Mädchen Anika übernimmt die Moderation. Ich blättere in ihren Bewerbungsunterlagen und sehe, dass sie in Arbeits- und Sozialverhalten gute Bewertungen hat. Nach kurzer Zeit stehen alle Bewerber an der Pinnwand und bringen ihre Informationen zusammen. Die Aufgabe ist sehr schwer, dass wissen wir. Dadurch vergessen die Bewerber aber irgendwann, dass sie beobachtet werden. Das ist besonders bei eher schüchternen Menschen von Vorteil. Anika holt die Jungs immer wieder ins Boot, fordert Informationen ein. Insgesamt ist dies gerade eine gute Gruppe, sie arbeiten toll zusammen. Sascha fragt, was am Aegi los ist, irgendwie verzögert sich da die Wartezeit. Der Bewerber neben Sascha zählt gerade die Haltestellen einer Linie durch. Insgesamt hängt die Gruppe gerade. Das ist für uns aber an diesem Punkt völlig normal und wir geben unseren ersten Tipp. Die Gruppe nimmt wieder Fahrt auf und nach zwei weiteren Hinweisen vom stellvertretenden Betriebsleiter wird die Aufgabe gelöst. Wir bedanken uns bei den jungen Menschen und erzählen nochmal, dass es uns nicht um die Lösung, sondern um das Miteinander ging. Ich schaue in ungläubige Gesichter. Ich bekomme dadurch bestätigt, dass sie die letzte Bemerkung am Anfang dieser Übung wirklich nicht mehr mitbekommen haben.
Bestandene Prüfung = Fester Arbeitsbertrag
Nun haben die Bewerber die Möglichkeit, uns Fragen zu stellen. Drei aus dieser Gruppe haben sich vorbereitet. Wo die Berufsschule sei, wie die Ausbildung abläuft und wie das mit der Freifahrt auf den üstra Linien ist. Niemand fragt nach Urlaub und Ausbildungsvergütung. Wir wissen, dass ihnen das in der Schule so beigebracht wird. Deshalb geben wir diese Angaben direkt. Sascha fällt noch eine Frage ein, wie das denn hinterher mit der Übernahme sei. Unser Betriebsrat betont, dass wir bedarfsgerecht ausbilden. Das heißt, dass jeder nach der Ausbildung – solange er oder sie die Prüfung besteht und keine goldenen Löffel klaut – einen Festvertrag bekommt. Die Bewerber haben keine weiteren Fragen. Wir bedanken uns, bestätigen zweien noch schriftlich, dass sie dabei waren. Dann bringt ein Auszubildender sie wieder zum Hofausgang. Wir sind uns einig, dass das eine tolle Gruppe war. Besonders der Sascha und die Anika haben uns gefallen, aber auch die anderen drei waren gut.
So gehen die Gespräch weiter. Auch Donnerstag und Freitag lernen wir noch viele Bewerber kennen. Am Freitag nach dem letzten Gespräch wird es dann für die Prüfer richtig schwierig. Wir haben 18 Ausbildungsplätze, aber noch 50 Bewerber in die Gespräche eingeladen. Als erstes sortieren wir die Kandidaten aus, wo wir uns einig sind, dass sie nicht zu uns passen. Das geht relativ schnell, aber es sind selten mehr als 10. Jetzt wird es schon schwieriger. Im nächsten Schritt suchen wir diejenigen raus, die uns besonders positiv aufgefallen sind. Ganz vorne liegt Sascha, auch Anika ist schon auf dem Stapel. Jetzt geht das Feilschen los, der vielleicht gemeinste Prozess im Bewerbungsverfahren. Jeder hat seine Favoriten, es muss aber ein gemeinsames Ergebnis her. Das Problem ist nicht, dass wir nicht ausreichend Gute hätten. Vielmehr haben wir erheblich mehr tolle junge Menschen als wir Ausbildungsplätze haben. Und nun versuchen wir, eine Prognose zu stellen, ob die üstra und dieser junge Mensch langfristig zueinander passen. Wir wissen, dass mindestens die Hälfte derer, denen wir absagen, einen guten Job machen würden. Und genau das macht die Entscheidung so unglaublich schwer. Nach zwei Stunden ist die Liste fertig. Wir haben uns auf 18 junge Menschen geeinigt und noch eine Reserve von neun Bewerbern festlegt. Erfahrungsgemäß springen immer wieder einige Bewerber ab, deshalb eben diese Reserve.
Was nun folgt, ist wieder Routine. Die Zustimmung vom Arbeitsdirektor, Betriebsrat und Personalleiter einholen, dann werden die Zu- und Absagen geschrieben. Absagen auch an einige gute junge Menschen. Wir hoffen, dass auch diese unterkommen werden oder sich im nächsten Jahr wieder bei uns bewerben.
Bald geht es wieder los
Insgesamt haben wir wieder eine gute Auswahl getroffen. Und seit 01. September diesen Jahres stehen sie vor uns und tragen mit Stolz ihre neue Dienstkleidung. Sie werden schnell feststellen, dass auch sie als Auszubildende zur üstra Familie gehören und unseren Fahrgästen von Anfang an qualifizierte Auskünfte geben müssen. Und sie sind vom ersten Tag an ein guter Markenbotschafter unseres Unternehmens.
Aber auch für uns geht es bald wieder von vorn los. Bis Ende Januar läuft noch der Bewerbungszeitraum für die Ausbildung 2016. Im Frühjahr geht es dann wieder in die Bewerbungsphase und ich lerne wieder ganz neue Persönlichkeiten kennen, von denen einige ein Teil der üstra Familie werden.
Vielen lieben Dank auch hier wieder einmal für diese interessanten Einblicke in die Bewerberauswahl. Ich mag solche Hintergrundberichte gerne.
Schade, dass der Blog hier nur recht selten gelesen wird (zumindest lassen dies die Anzahl der Kommentare sowie die Zugriffszahlen eurer Youtube-Videos vermuten), – er hätte viel mehr Leser verdient!
Auch von meiner Seite einen ganz lieben Dank für den Bericht.
Eine Frage bitte: Bietet ihr auch Umschulungen an im technischen Bereich (Mechatroniker/Elektroniker)?
Hallo Sannchen, ich gebe das gern mal an die Kollegen weiter und melde mich dann noch einmal.
LG, Christine