Vor 70 Jahren machte die ÜSTRA Kinderträume wahr: Sie brachte Ausflüge mit dem
Weihnachtsmann in der Straßenbahn auf die Schiene, quer durch Hannover. In den vier
Jahren von 1952 bis 1955 ließ das Unternehmen damals eine mehrfach umdekorierte Bahn in
der Adventszeit rollen, Start jeweils um den Nikolaustag. Zehntausende fuhren mit in
Märchenzug, Zauber-Bahn und Orient-Express.
Die ÜSTRA hat in den vergangenen 130 Jahren so manches in Bewegung gebracht. Menschen und Güter, Busse, Bahnen und Boote. Stadt und Region. Großeltern, Eltern und Kinder. Für die gab es 1952, vor jetzt 70 Jahren, eine besondere Überraschung: „Die Straßenbahn“ machte den jüngsten unter ihren
Fahrgästen ein Geschenk. Weite Teile der Stadt lagen noch in Trümmern, waren Brache oder Baustelle. Straßenbahndirektor Dr. Philipp Kremer – stets nah am Betrieb und an den Menschen – hatte darum, so wird berichtet, ein paar Tage vor Nikolaus 1952 eine Idee: Er wollte Farbe in die Stadt, Licht ins
Dunkel und Glanz in die Kinderaugen bringen. So wurde kurzerhand eine Straßenbahn zur „Fahrenden Spielzeugschachtel“ von der Werkstatt umgestaltet – aus der Blumenbahn des Vorjahres. Advent 1952, das hieß Mitfahren und Träumen.
Kekse aus der Straßenbahn
Am 5. Dezember 1952 wurde der bunte Zug an der Ihmestraße vorgestellt. Gerade eben war er fertig geworden, dunkelblau lackiert und rundum mit typischen Spielzeugmotiven verziert. Zeitungen berichteten. Der in der ÜSTRA gefundene Name „Fahrende Spielzeugschachtel“ wich schnell der Bezeichnung „Märchenzug“. Denn der Zugführer (Schaffner) war als Hänsel verkleidet – Kniebundhose, weiße Bluse, grüner Wams –, zwei Schaffnerinnen als Gretel, mit weißer Bluse zu Rock und
Schürze. An der Kurbel arbeitete der Weihnachtsmann. Unverkennbar. Unterwegs wurden in den Wagen Kekse verteilt. Zwei Zugmannschaften gab es, vier Damen und vier Herren. Die Kostüme hatte die straßenbahneigene Schneiderei gefertigt.
18 Tage lang, vom Nikolaustag am 6. bis zum 23. Dezember, war der Sonderzug jeweils von 14 bis 19 Uhr im Netz unterwegs. Im täglichen Wechsel wurden mehrere Strecken befahren. 15 Pfennige kostete die Mitfahrt in der ganz eigenen Atmosphäre des innen mit Tannenzweigen geschmückten Märchenzuges. Weihnachtsmann Fritz Weber gab der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ein Interview. Ein Mutter-Tochter-Paar fuhr gleich sechs Runden am Stück mit. Verzückte Blicke soll es auch bei Eltern und Passanten gegeben haben.
Von Rotkäppchen zum Orient-Express
Auch ab dem Nikolaustag 1953 fuhr wieder eine Märchenbahn, mit neuen Motiven und einer Zugmannschaft aus Rotkäppchen, Hänsel, dem Jäger aus Schneewittchen und dem Koch aus Dornröschen an der Kurbel. Dazu gab es eine Tombola mit 100 Preisen und 30.000 gezählte Mitfahrende. Viele
deutsche Zeitungen sollen berichtet haben. 1954 folgte die Zauber-Bahn Sim-sala-bim mit Tiermotiven und „orientalischer Farbenpracht“, einem Maharadscha als Fahrer, schaffnernden „Haremsdamen“ und zusätzlich einem mitfahrenden Zauberer. Arbeitstitel war sogar „Zug der tausend Wunder“. 1955 fuhr er
– leicht verändert – erneut, nun als „Orient-Express“. Der letzte Bericht über einen Vorweihnachts-Einsatz des bunten Zuges im Nachrichtenblatt 12/1955 der ÜSTRA schließt zeitlos: „Besonders aber konnte man sich darüber freuen, dass ein Betrieb, der gerade in der heutigen Zeit zu kämpfen hat und mit jedem Pfennig rechnen muß, in solch einer netten Weise sein Herz für die jüngsten Kunden zeigte“. Fantasie, Freude und Engagement vieler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatten es möglich gemacht. Nach diesem letzten Einsatz wurde der bunte Zug allerdings endgültig entzaubert. Zufall oder nicht: Mit
dem Jahr 1955 endete auch die Amtszeit von Direktor Philipp Kremer.
Sehr schade, dass es heutzutage so etwas nicht mehr gibt. Ich denke auch heute hätten die hannoverschen Kinder ihre Freude daran, wenn eine Märchenbahn durch Hannover fahren würde.