Brigitte Beschenboßel ist 70 Jahre alt und lebt in Hannovers schönem Stadtteil Bemerode. Sie ist fit mit dem Smartphone, arbeitet noch regelmäßig ehrenamtlich, hat zwei erwachsene Kinder und ist in ihrer Freizeit sehr unternehmungslustig. Doch während all diese Dinge für Sie oder mich ganz selbstverständlich sind, haben sie mich bei ihr sehr beeindruckt, denn Brigitte ist blind.
Wegen eines Fehlers bei der Geburt gilt Brigitte Beschenboßel als sehbehindert bzw. blind; verbrachte ihr gesamtes Leben im Dunkeln, ohne ihre Liebsten oder ihr Umfeld zu sehen. Genau wie ich ist Brigitte in Hannover zur Schule gegangen, lernte rechnen, schreiben und lesen. Brailleschrift, so heißt die Schrift, die viele von uns nur als Blindenschrift kennen, ist eine Buchstabenschrift die mittels vieler kleiner Punkte blinden Menschen den Weg weist. Zusätzlich zu der Brailleschrift, die bei der üstra z.B. an Aufzügen und Handläufen Orientierung bieten soll, gibt es eine Kurzschrift, „denn stellen Sie sich mal vor, Sie würden Harry Potter mit der normalen Blindenschrift lesen, dann wären die Bücher ja dreimal so dick“, erklärt es Brigitte lachend.
Dass sie nichts sehen kann, hat sie nicht davon abgehalten ein „normales“ Leben zu führen. Als Kind spielte sie verstecken mit ihren Freunden. Als Jugendliche fuhr sie in die Stadt oder ging tanzen. Zog als Erwachsene zwei gesunde und sehende Kinder groß und arbeitete über 15 Jahre für den Blindenverband Niedersachsen, Regionalverein Hannover. „Ich kann zwar nichts sehen, aber trotzdem habe ich Lust aufs Leben“, erklärt sie mir während wir Arm in Arm durch die Stadt gehen.
Klar gibt es Tücken im Alltag: Menschenmassen, unbekannte Orte, Ampeln ohne akustisches Signal, oder auch die verschiedenen Bahntypen der üstra, bei denen sie manchmal nicht sofort weiß, wo sie die Tür finden kann. Deshalb freut sich Brigitte auch immer, wenn ihr Passanten Hilfe anbieten. „Hilfe von sehenden Menschen ist mir immer willkommen. Mir ist es lieber ich werde einmal mehr angesprochen, auch wenn ich vielleicht mal dankend ablehne, weil ich es selber schaffe. Die Leute dürfen dann einfach nicht beleidigt sein, denn dankbar bin ich ihnen trotzdem und freue mich auch nächstes Mal wieder, wenn mir jemand behilflich sein will.“
Als wir von der üstra und ihren Stadtbahnen sprechen, deren ganze Geschichte vom Tunnelbau bis zur Einführung des TW 3000 Brigitte gespannt miterlebt hat, überrascht sie mich wie so oft in unserem charmanten Gespräch. Sie redet von „den grünen“ Bahnen, also dem TW 6000, so als wäre das für einen Blinden das Natürlichste auf der Welt. Denn offenbar „sehen“ Blinde doch mehr, als es mir bisher bewusst war.
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