Ja ja, die ÜSTRA ist ein Männerverein, schon immer gewesen. So sagt es zumindest das Klischee. Zu den Anfängen des hannoverschen Nahverkehrs traf das auch zu. Dass wir uns mittlerweile aktiv darum bemühen, mehr Kolleginnen zu bekommen, weiß dank der rocktragenden Fahrer fast jeder. Doch während wir heute in allen Bereichen weibliche Unterstützung suchen, gab es Mitte des letzten Jahrhunderts nur wenige Berufe, in denen Frauen arbeiten durften. „Schaffnerin“ war einer davon. Doch was genau musste man da eigentlich machen und wie sah der Arbeitsalltag aus? Vor kurzem konnte ich mich darüber mit Heike Geist, einer ehemaligen Schaffnerin, unterhalten und stieß dabei auf einen einzigartigen Karriereweg.
Frau Geist, wann haben Sie bei der ÜSTRA angefangen und warum?
1967 fing ich als Schaffnerin an, weil ich als Hausfrau Geld benötigte. So einfach war das *lacht*. Mein geschiedener Mann war Straßenbahnfahrer, sagte mir es würden derzeit Schaffnerinnen gesucht. Daraufhin habe ich im Personalbüro der ÜSTRA nachgefragt. Ich musste dann eine kleine Prüfung machen, also einen kleinen Aufsatz schreiben und Rechenaufgaben lösen, und schon war ich Schaffnerin. Ganz einfach.
Wie war denn Ihre erste Zeit?
Für mich war das nicht ganz leicht, denn ich fing im Januar auf der Linie 11 an. Die Strecke nach Laatzen war damals sehr dunkel und ich hatte keine Orientierungspunkte. Das Agnes-Karll-Krankenhaus und das ganze Neubaugebiet gab es dort damals noch gar nicht. Nur ein paar Weihnachtsbäume haben mir geholfen, mich zurecht zu finden. Ein Tannenbaum war an der Mühlenschänke, einer in Rethen auf dem Dach der Zuckerfabrik. Da wusste ich dann immer wo ich grade war und konnte die nächsten Haltestellen mitzählen, denn die musste man ja auch ausrufen.
Wie war ihr Alltag als Schaffnerin?
Die Tarife und Preise der Linie 11 musste ich alle im Kopf haben. Von der Haltestelle sowieso bis zu der Haltestelle soundso kostete 30 Pfennig und zwei Haltestellen weiter kostete 50 Pfennig und so weiter. Dann habe ich die entsprechenden Fahrscheine abgestempelt und rausgegeben. Ich war immer zu den sogenannten Stoßzeiten im Dienst, früh morgens und nachmittags, also war ich immer in einer vollen Bahn. Wir hatten damals noch diese großen Klapperkästen voller verschiedener Fahrscheine. Das Durchkommen zum Abkassieren war somit sehr schwer. Wenn ich hinten im Wagen einen Fahrgast sah, der noch nicht bezahlt hatte, habe ich ihn aus der Ferne angesprochen und dann ging das Geld über alle Köpfe bis zu mir. Die Fahrgäste haben mir da schon immer geholfen.
Und auch Sie waren immer für die Fahrgäste da. Hatten Sie da auch ein paar Lieblinge?
Ich habe früher mit den Schulkindern auf ihrer Heimfahrt Hausaufgaben gemacht. „Kannste mir nicht mal helfen beim Deutschaufsatz?“ haben die Kinder oft gefragt und dann haben wir das halt zusammen gemacht. Ich muss gestehen, manchmal habe ich auch vergessen dabei andere Fahrgäste abzukassieren. Aber das hat Spaß gemacht mit den Kindern. Es gab auch Fahrgäste, die ich schon gut kannte. Das war manchmal ganz lustig. Wenn wir mit der 11 in Richtung Sarstedt gefahren sind, hat der Fahrer auf der Hinfahrt an einer bestimmten Haltestelle gebimmelt. Dann wusste der „August“, dass er jetzt aufstehen muss. Auf der Rücktour stieg er dann ein: „Danke, dass du mich geweckt hast.“
Und trotzdem sind Sie nach ein paar Jahren ins Büro gewechselt.
Ja, das war mir schon lieber, obwohl ich gerne Schaffnerin gewesen bin, wirklich. Mir hat das viel Spaß gemacht mit Menschen zu tun zu haben. Am Hohen Ufer habe ich zuerst die Fahrpläne der Haltestellen, die heute ja automatisch gedruckt werden, auf so einer großen Schreibmaschine Ziffer für Ziffer geschrieben. Das war eine aufwändige Arbeit. Aber es war ein Helfer dabei, der aus dem Grundfahrplan die Zeiten angesagt hat.
Haben Sie sich denn auch mal verschrieben?
Natürlich. Vor allem, wenn derjenige, der mir das vorgelesen hat, zwischendurch geklönt hat. In dem Moment ist man unkonzentriert und dann schreibt man statt einer „1“ eine „2“ oder so. Das ist ja für Fahrgäste nicht so gut, denn dann ist die Bahn weg.
Und im Anschluss, wo führte es Sie da hin?
Danach habe in der Sozialverwaltung gearbeitet als Sachbearbeiterin. Da habe ich ganz liebe Kollegen gehabt. Wir hatten ein tolles Arbeitsverhältnis. Wir hatten viel Arbeit, aber es hat Spaß gemacht, die Rentner der ÜSTRA zu betreuen. Ein großes, schönes Arbeitsgebiet.
Danke Frau Geist. Wir machen hier jetzt erstmal eine kleine Pause. Im zweiten Teil unseres Interviews, das Anfang August erscheint, erfahren wir alles über die ÜSTRA Geisterstimme und wie die ersten Durchsagen in den Stadtbahnen zustande kamen.
toller Beitrag!
Der Beitrag gefällt mir. Gute Arbeit. Vielen Dank Julia Müller.
Gruß Heike Geist
Ich danke Ihnen für die spannenden Geschichten!
Liebe Grüße
Julia Müller
Sehr spannend!
Wie schön berichtet!! Ich sehe die Straßenbahn förmlich vor mir.
Vielen Dank dafür.
Ich hätte als Zugabe noch einen Bericht meines Onkels (mittlerweile 90 Jahre alt), der von 1947 – 1950 als Schaffner bei der ÜSTRA tätig war.
Mich hat dabei vor allem erstaunt, dass er sich noch nach knapp 70 Jahren an all die Kleinigkeiten und das „durchklingeln“ erinnert. Offensichtlich gilt: Einmal Üstraner – immer Üstraner ;)
Zitat:
„Ja ,es stimmt, in den Jahren 47/50 habe ich als Student in den Semesterferien bei der Straßenbahn als Schaffner gearbeitet.
Ich bin meistens die Linie 1 von Döhren nach Limmer gefahren. Döhren war unser Depot, wo wir zum Schluss dann unsere Einnahmen abliefern mussten.
Wir bekamen eine Tasche mit Wechselgeldausgabe umgehängt und die Fahrscheine und mussten dann nach Dienstschluss in Döhren alles auszählen und das Geld sortieren ,einrollen und abrechnen.
Zuerst durfte ich nur in den dritten Wagen und an den Haltestellen dann als erster wieder an der Leine abklingeln.
Später habe ich dann auch als Schaffner den ersten Wagen gehabt und die gesamte Verantwortung.
Bei Spätdienst fuhren wir dann nur mit einem Wagen und haben die Leute vom Opernhaus nach Hause gefahren.
Eingestiegen zum Dienst bin in der Geibelstrasse zum Dienstanfang nach Döhren, denn ich habe ja in der Tiestestr.23 gewohnt. Spaß hat es mir immer gemacht.
Meine Umhängetasche mit dem Wechselgeldschalter musste ich immer mit nach Hause nehmen. Die war schon ganz schön schwer.
Schwarzfahrer hatten wir auch dabei, wenn ich nicht rechtzeitig durch die Reihen kam bis zum nächsten Halt, die dann wieder ausstiegen. Besonders nach dem Opernbesuch war die Strassenbahn voll.“
Ganz genau so war es! Prima Erinnerungsvermögen eines älteren Herrn.
Verraten Sie mir evtl. den Namen Ihres Onkels?
Hallo Frau Geist,
das darf ich gerne tun, denn er hatte auch Bereitschaft zu einem Interview erklärt.
Mein Onkel ist Rolf Badschild. Studierte bis 1950 hier in Hannover Elektrotechnik, lebt seidem in der Nähe von Stuttgart und ist „a echter Schwob“ geworden.
Gerade deshalb fand ich seine spontanen Erinnerungen nach all der Zeit so überraschend.
Liebe Grüße
Der TW-6000 Liebhaber
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