Es gibt nicht viele Termine, die man in Hannover auf dem Schirm haben sollte. Das Maschseefest, das Kleine Fest im Großen Garten, vielleicht auch den Saisonstart von Hannover 96 und der „Recken“, garantiert aber das Schützenfest. Jedes Jahr feiern die Schützen der Stadt und Region Hannover Anfang Juli ihren Sport – inklusive Schützenausmarsch, Bruchmeister, Zapfenstreich und was sonst alles zu der traditionellen Veranstaltung gehört.
Man kann von Schützenvereinen halten, was man will. Viele werden sie wahrscheinlich als angestaubt und ewig-gestrig abstempeln. Das Bild „alte, weiße Männer lieben ihre Gewehre und treffen sich auf ein Bier“ war bis heute auch in meinem Kopf. Warum treten junge Menschen in einen so vermeintlich biederen Verein ein? Ganz unvoreingenommen ging ich also nicht in das Gespräch mit meinem Kollegen Eike Christian Bader. Der 25-Jährige ist Stadtbahnfahrer bei der ÜSTRA – und in diesem Jahr einer der vier Buchmeister und Bruchmeisterinnen auf dem Schützenfest.
Wir treffen uns auf dem Betriebshof Glocksee – seiner dienstlichen Heimat. Aber heute wird Eike nicht in einen TW 6000 steigen und die Linie 9 fahren. Stattdessen werde ich das erste Mal überrascht, als ich fragte, ob er schon mal auf Tiere geschossen hat. „Das würde ich nie machen, ich bin Vegetarier!“, entgegnet er mit gespielter Empörung. Eike versteht seinen Sport als eben diesen – einen Sport: „Es geht viel um die richtige Technik und natürlich Konzentration.“ Aus einer traditionsreichen Schützenfamilie stammt der gebürtige Berliner nicht: „Mein Vater trat selbst erst 2002 in einen Schützenverein ein. 2004 nahm er mich dann mit auf das Schützenfest und weckte damit die Leidenschaft.“ Seit 2018 ist Eike Mitglied der Schützengesellschaft Wilhelm Tell Hannover, die in Kleefeld beheimatet ist. Dort trainiert der Sportschütze wöchentlich sein Können – und das sehr erfolgreich. In diesem Jahr konnte sich Eike für die Landesmeisterschaft Mitte Juli in Hannover qualifizieren.
Nun steht dieser junge Mann in Frack, weißer Weste und mit Zylinder vor mir. In diesem Jahr ist Eike nämlich ein Bruchmeister und trägt die grüne Standarte. Ich merke ihm seine Leidenschaft für den Sport an, aber warum in aller Welt will Mann (oder auch Frau) denn nochmal Bruchmeister (oder eben Bruchmeisterin) werden? Schließlich bedeutet das auch: Zahlreiche Termine rund um das Schützenfest, noch bis zum 9. Juli sind die zwei Bruchmeisterinnen und zwei Bruchmeister jeden Tag vor Ort. Darüber hinaus werden sie bis zum Schützenfest 2024 immer wieder zu repräsentativen Terminen der Stadt eingeladen. Mit einem verschmitzten Lächeln klärt Eike mich auf: „Es ist schon eine Ehre, dieses Amt beim Schützenfest zu bekleiden und alle Schützenvereine der Stadt und Region zu repräsentieren.“
So kam es, dass er bereits im vergangenen Jahr den Entschluss fasste, sich auf das Amt zu bewerben: „Unser Vorstandsvorsitzender des Schützenvereins hat mich dann als Bruchmeister vorgeschlagen.“ Aber das allein reicht nicht. Die Bruchmeister-Anwärter und -Anwärterinnen werden dann zu einem Test eingeladen. 30 Fragen zur Stadtgeschichte Hannovers, zum Schützenwesen und dem Verband Hannoverscher Schützenvereine (VHS) müssen beantwortet werden. Wer am besten abschneidet, darf das Ehrenamt übernehmen. Für Eike bedeutete das aber auch Organisation: Urlaub musste getauscht werden, denn neben einem Vollzeit-Job ist dieses Ehrenamt nicht zu stemmen. Der 25-Jährige wusste aber, was auf ihn zukommt: „Mein Bruder war selbst vor zehn Jahren schon einmal Bruchmeister.“
Am 30. Juni wurden Samantha Stanton, Ali Hasan, Jennifer Seegers und Eike Christian Bader dann als Bruchmeisterinnen und Bruchmeister von Oberbürgermeister Belit Onay berufen. Seitdem sind sie die amtierenden Bruchmeister, die auf dem Schützenfest traditionell „für Ordnung sorgen“. Am 8. Juli findet man die Vier am Kröpcke bei ihrer Bruchmeisteraktion. „Da freue ich mich richtig drauf. Wir werden dort Spenden für den Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes sammeln“, erklärt Eike. Ich sehe ihm an, dass er gern das Amt auch für wohltätige Zwecke nutzt.
Als wir uns verabschieden, merke ich, dass das Gespräch etwas mit mir gemacht hat. Schützenvereine sind längst nicht mehr der Spielplatz alter weißer Männer. Geschossen wird da ja nicht mehr nur mit Gewehren, sondern auch Bogen- und Blasrohrschießen gehören zum Sport. So führen die vier Bruchmeisterinnen und Bruchmeister das Schützenfest mit bewährter Tradition in die Moderne.