Stahlbeton im Schiefer: Wie Einwanderer die New Yorker U-Bahn bauten (Teil 2)
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Stahlbeton im Schiefer: Wie Einwanderer die New Yorker U-Bahn bauten (Teil 2)

Lesen Sie im zweiten Teil dieses Berichts von Udo Iwannek, dem ehemaligen ÜSTRA Pressesprecher, aus New York: Wer die Glücksritter waren, die New Yorks Subway erschufen. Und was der New Yorker Nahverkehr für die Zukunft plant.

Als der amerikanische Bürgerkrieg 1865 endete, war New York mit rund 900.000 Einwohnern Amerikas größte Stadt. Die meisten New Yorker lebten zusammengepfercht in engen Behausungen im südlichen Teil von Manhattan, dem heutigen Finanzdistrikt rund um die Wall Street. Der Central Park war noch nicht angelegt worden, die heutigen Nobelviertel westlichen und östlich davon (Upper West Side und Upper East Side) noch nicht erschlossen. Aber schon damals war der Verkehr enorm.

Die New Yorker bewegten sich vor allem mit Pferdebussen und von Pferden gezogenen Straßenbahnen vorwärts. Und das in einem schwindelerregenden Takt: Bereits 1850 passierten Pferdebusse alle 15 Sekunden die Kreuzung von Broadway und Chambers Street, hatte ein aufmerksamer Zeitgenosse mitgezählt. 1880 waren rund 12.000 Pferde damit beschäftigt, die New Yorker zu befördern. Wenn man bedenkt, dass ein Pferd 30 bis 50 Pfund Dung am Tag fallen lässt, kann man sich vorstellen, welche Mengen an Pferdemist täglich in New York zusammenkamen. Eine ganze Branche war damit beschäftigt, die Pferdeäpfel aufzusammeln und als Dünger zu verwerten.

Da New York rasend schnell weiterwuchs und Millionen von Einwanderern aus Europa aufbrachen, war allen klar: So kann es nicht weitergehen. New York brauchte irgendeine Art von Schnellverkehr (rapid transit) für diese Menschenmassen. Grundsätzlich gab es dafür zwei Optionen: Hochbahnen (elevated lines) über den Straßen oder Untergrundbahnen darunter.

Harte Arbeit: In solchen Kannen brachten sich die Bauarbeiter der New Yorker Subway ihr Essen mit in den Tunnel. (Foto: Iwannek)

Technisch war das größte Problem der Antrieb solcher Bahnen. Elektrische Motoren hatten Ende des 19. Jahrhunderts noch nicht genügend Kraft, lange Züge zu ziehen, und herkömmliche Dampflokomotiven hätten den Fahrgästen in Tunneln buchstäblich den Atem geraubt. Doch das größte Hindernis für modernen Nahverkehr in New York war politische Korruption.

Dafür gibt es bis heute ein Synonym in den USA: Tammany Hall. So nannte sich Mitte des 19. Jahrhunderts eine politische Seilschaft der Demokratischen Partei – ein Netzwerk, in dem Posten geschachert, lukrative Aufträge verschoben und Bestechungsgelder kassiert und verteilt wurden. Benannt hatte sich diese Seilschaft nach dem Ort, an dem man sich traf, um all diese Schweinereien zu verabreden: der Tammany Hall in der 14. Straße.

Der schlimmste Finger in der Tammany Hall war William Tweed, Spitzname „Boss“. Man schätzt seine persönlichen Gewinne aus all der Korruption auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Teile dieses Vermögens investierte der Boss in Pferdebahnen. Daher hatte er keinerlei Interesse an effektiveren Möglichkeiten des Nahverkehrs wie einer Subway und blockierte Ansätze, eine solche in New York zu bauen, wo immer er konnte. Da Tweed nicht nur im Stadtrat saß, sondern auch als Abgeordneter im Repräsentantenhaus in Washington und zugleich Parteichef der New Yorker Demokraten war, hatte er viele Möglichkeiten, unliebsame Projekte zu blockieren. Erst als Tweed schließlich 1874 wegen massiver Korruption für zwölf Jahre ins Gefängnis gewandert war, wurde der Weg frei für eine Subway.

Aber wer sollte sie bauen? Man entschied sich für eine Art private public partnership. Die Stadt New York lieh das für den Bau benötigte Kapital an einen privaten Investor, der dafür die Linien betreiben und den Gewinn daraus einstecken durfte, aber jährlich eine Art Zins an die Stadt entrichten und auch die Fahrzeuge anschaffen musste. Den Zuschlag in der Ausschreibung für die Subway erhielt John B. McDonald für sein Angebot von 35 Millionen Dollar. Der irische Einwanderer hatte zwar schon Erfahrungen mit anspruchsvollen Tunnelprojekten, die er erfolgreich bewältigt hatte, aber es fehlte ihm an Kapital, weswegen er sich mit dem New Yorker Bankier August Belmont zusammentat.

So gings los: In den Anfangsjahren der New Yorker Subway setzte man noch Wagen aus Holz ein. Dieser Wagen fuhr von Manhattan nach Brooklyn. (Foto: Iwannek)

Belmont war einer der reichsten Männer seiner Zeit. Sein Vater hatte bereits ein Vermögen als Repräsentant der Frankfurter Rothschild Familie in New York gemacht. Sein Sohn Belmont junior lebte auf ganz großem Fuß, beschenkte die Gäste seiner Empfänge in seiner Sommerresidenz in Newport mit lebenden Schildkröten, verteidigte den America’s Cup im Segeln mit seiner Yacht Mineola und hatte eines der besten Gestüte in Amerika, dessen Pferde regelmäßig Preise gewannen. Er lebte auf einem 250 Hektar großen Landsitz auf Long Island mit Wäldern für die Jagd, einem riesigen Fischteich für Forellen und einer beheizten Garage für 40 Autos. Als die Subway gebaut war, ließ er darin einen privaten Wagen für sich vorhalten, ausgestattet mit Schreibtisch, Küche und Toilette.

Die Firma, die Belmont mit McDonald gründete und die die erste New Yorker U-Bahn baute, hieß IRT (Interborough Rapid Transit). 1900 begannen die Bauarbeiten auf einer Strecke von Washington Heights im nördlichen Harlem zur City Hall im Süden Manhattans. Gebaut wurde in offener Bauweise dicht unter der Straße und mit dem Einsatz von Stahlbeton, der damals noch relativ neu war, aber später den Bau der schwindelerregenden Wolkenkratzer ermöglichte, für die New York heute so berühmt ist. Der Durchbruch des Stahlbetons veranlasste die Maurerverbände zum Protest, denn die klassischen U-Bahnen Tunnel im alten Europa waren noch gemauert worden, doch die neue Bauweise war effektiver, günstiger, haltbarer und schneller.

10.000 Arbeitende waren mit dem Bau des ersten U-Bahn-Tunnels beschäftigt. Der Boden unter Manhattan besteht hauptsächlich aus Schiefer, der zwar sehr stabil ist und auch große Lasten tragen kann (wie heute die Wolkenkratzer) aber auch sehr hart ist. Kaum zu glauben, aber der erste Tunnel wurde hauptsächlich per Hand mit Spitzhacken und Schaufeln gegraben. Pferde und Esel transportierten den Aushub ab. Einige Esel wurden dafür permanent im Untergrund gehalten, darunter Jim, der daher zwei Jahre kein Tageslicht sah und seine Augen stets geschlossen hielt, sich aber nie deswegen beklagt haben soll.

Die Arbeitenden, die den ersten U-Bahn Tunnel in New York bauten, waren Einwanderer, die um die Jahrhundertwende in Strömen aus Europa in die neue Welt kamen – hauptsächlich Iren und Italiener, aber auch Schweden und Deutsche. Die Arbeit für die Subway war gut bezahlt: es gab 3,75 Dollar für eine achtstündige Schicht statt der damals üblichen zwei Dollar, die man ungelernten Arbeitern zahlte. Aber die Arbeit war auch gefährlich, denn der Schiefer musste mancherorts mit Dynamit aus dem Weg geräumt werden und war unberechenbar in seiner Struktur, sodass Tunnelteile jederzeit einstürzen konnten. 54 Menschen starben während der vierjährigen Bauarbeiten für die erste Linie.

Nur an manchen Stellen ist noch das prachtvolle gekachelte Interieur der U-Bahnstationen New Yorks erhalten – hier die Station Borough Hall in Brooklyn. (Foto: Iwannek)

1904 wurde die erste New Yorker Subway Linie eingeweiht. 25.000 Menschen säumten die Station City Hall bei der Eröffnung – ein Moment des Bürgerstolzes der damals noch jungen Metropole New York. Die Großstädte der alten Welt hatten schon längst U-Bahnen: London seit 1863, Berlin seit 1902, selbst der ewige New Yorker Rivale Boston hatte bereits 1897 begonnen, elektrische Bahnen in den Untergrund zu schicken. New York war spät dran.

Dass hatte aber auch seine Vorteile: New York konnte mit seiner Subway auf die neusten technologischen Entwicklungen zugreifen. Neben dem Stahlbeton war dies vor allem das viergleisige System auf den Hauptlinien: Der Fahrgast hat von einem Bahnsteig aus die Wahl zwischen „Express“ und „Local“ auf derselben Linie: die Schnellverbindungen halten nur an den wichtigsten Haltestellen, die „Local“ an jeder. So kann man bis heute in New York mit der Subway in unter zwanzig Minuten von Harlem an die Wall Street fahren – das schafft man nicht mal mit einem Helikopter, geschweige denn mit dem Auto.

Eine New Yorker Besonderheit sind die Expresszüge, die auf Gleisen verkehren, die beim Bau der Subway parallel zu den lokalen Strecken verlegt wurden. Expresszüge halten nur an den größeren Stationen und sind dadurch deutlich schneller. (Foto: Iwannek)

Und das Gleichheitsgebot der amerikanischen Verfassung („All men are created equal“) galt in der New Yorker Subway von Anfang an. Es gab und gibt nur eine Klasse für alle Fahrgäste. Eine Selbstverständlichkeit? Nicht in Europa. Die Pariser Metro beispielsweise hat ihre erste Klasse erst 1991 abgeschafft.

Die Subway erwies sich als Segen für New York – aber ihr Erfolg wurde auch rasch zum Fluch. Die Beschwerden häuften sich. „Wir bekommen keine zivilisierte Fahrt für unser Geld, sondern hängen wie die Schimpansen an den Halteschlaufen“, schrieb ein Fahrgast 1927. „Ich saß neben Rohren, die einen solchen Gestank von sich gaben, als wäre eine Stinkbombe im Zug explodiert“, meinte ein anderer, und Generalmajor John F. O’Ryan – ein Veteran des ersten Weltkriegs – schlussfolgerte 1924: „Hätte ich deutsche Gefangene so behandelt wie man heute Fahrgäste in der U-Bahn behandelt wäre ich vor ein Militärgericht gestellt worden.“

Die ersten New Yorker U-Bahnen 1904 boten noch Quer- und Längsbestuhlung – auf gepolstertem Mobiliar. (Foto: Iwannek)

Natürlich wurden weitere U-Bahn Linien von der IRT gebaut – insbesondere der 1908 eröffnete Tunnel unter dem East River nach Brooklyn war ein gewaltiger Fortschritt im Zusammenwachsen der fünf New Yorker Stadtteile – aber die Stadt wuchs im Zustrom der Millionen von Immigranten aus Europa noch schneller als ihre Subway. Hier trat nun ein neuer Player auf den Plan: die Brooklyn Rapid Transit Company (BRT), genau wie die IRT in Privatbesitz. Nach einem Jahr schwieriger Verhandlungen zwischen den beiden Unternehmen und der Stadt teilte man das Verkehrsgebiet für die bestehenden und die neu zu bauenden Linien auf. Grob erklärt, durfte die BRT neue Linien in der Mitte und dem Süden von Manhattan bauen und ihre bereits in Brooklyn bestehenden Hochbahn-Linien an die der IRT anbinden. Nördlich der 60sten Straße von Manhattan blieb die IRT alleiniger Betreiber.

Wer sich heute über einen Liniennetzplan der New Yorker Subway beugt und sich fragt, warum manche Linien Buchstaben tragen und manche Nummern hat hier die Antwort: Buchstaben bekamen die Linien der BRT und Nummern die der IRT. Obwohl beide Gesellschaften nicht mehr existieren und der Nahverkehr in New York heute aus einer Hand kommt (dazu gleich mehr) hat man diese Bezeichnungen beibehalten. Und als Nutzer der Subway stellt man rasch fest, dass das Liniennetz seine Schwächen an einigen Stellen bis heute beibehalten hat, weil es eben nie (wie beispielsweise für Hannovers Stadtbahnnetz) einen Generalplan aus einer Hand gab. Manches ist Stückwerk geblieben. Es gibt heute noch Stellen in New York, wo man aus einen (Buchstaben)-Tunnel heraussteigen und 100 Meter die Straße hinunter gehen muss, um dann in einen (Nummern)-Tunnel wieder hineinzusteigen, damit die Fahrt weiter geht.

Die New Yorker U-Bahn ist zum Teil kompliziert und das gilt nicht nur in Sachen Verbotsschildern (Foto: Iwannek)

Trotzdem war das komplexe Vertragswerk zwischen IRT, BMT und Stadt ein Erfolg. Als 1920 der Löwenanteil der darin verabredeten Ausbauarbeiten erledigt waren, gab es fünf Subway Tunnel unter dem East River, die Manhattan mit Brooklyn und Queens verbanden, und zwei Brückenverbindungen. Jeder New Yorker Stadtteil bis auf Staten Island hatte mindesten zwei Subway Linien, und New Yorks Liniennetz übertraf mit 202 Meilen inzwischen das von London (157 Meilen).

Wie kam es zum New Yorker Nahverkehr aus einer Hand? In den 30er Jahren, während der Großen Depression, waren die Fahrgastzahlen in New York enorm gesunken, und der Fahrpreis von 5 Cent – vertraglich festgenagelt von der Stadt – sorgte für zunehmende Verluste bei den beiden privaten Betreibern von IRT und BMT. Sie waren schließlich mehr als froh, 1940 ihre Gesellschaften an die Stadt New York für 346 Millionen Dollar zu verkaufen, darin eingeschlossen das rollende Material von U-Bahn-Wagen und Bussen. Der damalige Bürgermeister Fiorello La Guardia hatte gehofft, aus dem Zusammenschluss der beiden operierenden Gesellschaften soviel Synergien erlösen zu können, um den Nahverkehr mit einer schwarzen Null zu betreiben. Doch das schlug fehl. Obwohl der Fahrpreis 1948 auf 10 Cent verdoppelt wurde, war kein Geld für Ausbauprojekte vorhanden, und eine Reihe von Linienabschnitten wurden sogar abgerissen, um Kosten einzusparen. New Yorks Subway war für viele Jahre eingefroren.

Und heute? Die Weltklimakrise hat auch in New York dem Nahverkehr neue Bedeutung verliehen. 2017 wurde erstmals seit Jahrzehnten sogar der erste Abschnitt einer neuen Linie eröffnet: Unter der Second Avenue entlastet sie jetzt den Verkehr auf der dichtbesiedelten Upper East Side, wo zuvor nur eine chronisch überlastete Linie unter der Lexington Avenue verkehrte.

Die Metropolitan Transit Authority (MTA) zu der neben den New Yorker U-Bahnen und Bussen auch die Pendlerzüge in den Norden und nach Long Island sowie die Brücken und Tunnel nach Manhattan gehören, hat sich für die kommenden Jahre viel vorgenommen. Das System soll zugänglicher und damit barrierefreier werden, die Sicherheit will man durch mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung verbessern. Modernere Signaltechnik soll die U-Bahnen beschleunigen. Schon jetzt sind zahlreiche E-Busse in New York unterwegs, bis 2040 soll die New Yorker Busflotte – die größte der USA – komplett emissionsfrei fahren. Das alles kostet Geld. 2,8 Milliarden Euro betrug das Defizit der MTA im vergangenen Jahr. Dafür sparen ihre Busse und Bahnen jährlich 17 Millionen Tonnen Treibhausgase ein.

Es gibt noch viel zu tun im Kampf gegen den Klimawandel – in New York, in Hannover und überall auf der Welt.

Wer sich für die spannende Geschichte des New Yorker Nahverkehrs interessiert, dem sei das Buch „Subway – The Curiosities, Secrets, and Unofficial History of the New York City Transit System“ von John E. Morris empfohlen, das auch beim Verfassen dieses Berichts unschätzbare Dienste geleistet hat. ISBN: 978-0-7624-6790-7

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