Vom Warten und von Grabsteinen
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Vom Warten und von Grabsteinen

Ich bin ein großer Fan von Kleinoden. Sie wissen, was Kleinode sind? Nein? Es ist ein altes deutsches Wort für „Schmuckstück“ oder auch „Kostbarkeit“. Von so einer Kostbarkeit möchte ich hier erzählen. Sicher, auf den ersten Blick ist es nichts Besonderes, doch für mich ist es das. Viele hundert Leute gehen oder fahren heute an einem bestimmten Häuschen im Südwesten Hannovers vorbei, ohne zu wissen, was es früher einmal war. Doch warum ist das Häuschen so interessant? Das kann ich Ihnen sagen.

Seit frühester Kindheit bin ich begeisterter Straßen- und Stadtbahnfan. Zum Fan-Sein zählt natürlich auch, dass ich mich mit der Geschichte der üstra beschäftige. Eines Tages wollte ich einmal wissen, was es noch so gibt von der „alten“ ÜSTRA (ja, früher wurde das noch groß geschrieben). Was man z.B. noch im Stadtbild sehen kann. Da dachte ich mir, guck dir doch mal den Endpunkt Landwehrschänke an. Na, suchen Sie jetzt irritiert auf dem Stadtbahn-Liniennetzplan danach? Ich kann Sie beruhigen, die Straßenbahnstrecke dorthin gibt es heute nicht mehr. Sie führte ab der heutigen Haltestelle Beekestraße der Stadtbahnlinien 3, 7 und 17 über den Kreipeweg, die Straße An den Eichhölzern, den Mühlenholzweg direkt am Ricklinger Holz vorbei und dann weiter auf einem eigens angelegten Damm zur Landwehrschänke. Zwischendurch wurden noch die Haltestellen Ricklinger Turm bzw. Monikaheim und Schwarzer Weg bedient. Aber zurück zum Endpunkt Landwehrschänke.

1948_Straßenbahn Warteraum Landwehrschänke_1_üstra-Archiv

1948 wurde das Wartehäuschen errichtet.

Als der zweite Weltkrieg vorbei war, wurden viele der Kriegstrümmer zum Aufbau von neuen Gebäuden wiederverwendet. Das berühmteste Beispiel dafür in Hannover war das 1954 eröffnete Niedersachsenstadion, aber auch „mein“ Häuschen wurde daraus errichtet, denn 1948 und 1949 baute die ÜSTRA mehrere kleinere, aber auch größere Wartehallen. An der Landwehrschänke durfte es dann die größere Variante sein, schließlich war es ja ein Endpunkt. Außerdem muss man wissen, dass die Strecke auch viele Fahrgäste aus Hemmingen hatte, die bis zu dem Endpunkt gelaufen sind. Heute unvorstellbar, steigt man doch einfach in den Bus in Richtung Hannover, vielleicht noch mit Umstieg an der Wallensteinstraße.

Damals aber war an die Busverbindung (mit Ausnahme der dort selten verkehrenden Postbusse) noch nicht zu denken. Und so waren viele Leute sicherlich froh, wenn sie nach gut einem Kilometer Fußweg ein kleines Häuschen erspähten, an dem in großen Lettern „STRASSENBAHN WARTERAUM“ prangte. Wenn die Linie 7, die damals dort nur alle 12 Minuten in Richtung Fasanenkrug abfuhr, gerade weg war, konnte man im wohlgeheizten Warteraum Platz nehmen bis die nächste 7 in der Wendeschleife vor dem Häuschen hielt, mit der man dann in die Stadt fuhr.

1948_Straßenbahn Warteraum Landwehrschänke_7_üstra-Archiv

In diesem windgeschützten Raum konnten die Fahrgäste damals warten.

Doch die ÜSTRA zeigte beim Bau des Warteraums Geschäftssinn: Wenn man schon ein Häuschen errichtet, warum nicht gleich auch einen Teil davon einem möglichen Mieter zur Verfügung stellen? So geschah es dann auch. Ein Steinmetzbetrieb biss an und schnappte sich die kleinen Geschäftsräume auf der Seite, die der Göttinger Chaussee zugewandt ist. Seit diesem Zeitpunkt hatte man die Wahl: Skulpturen und Grabsteine auf der einen, Warten auf der anderen Seite.

Lange konnte man jedoch nicht zwischen diesen Alternativen wählen, da die einsetzende Massenmotorisierung ihren Tribut forderte. Während es nach dem Krieg überhaupt keine Frage war, welches Transportmittel man für die Fahrt in die Stadt nutzte (natürlich die Straßenbahn), ging durch die kostengünstigen Kleinwagen wie Käfer, Ente und Co. der Trend weg vom öffentlichen Verkehr und hin zum Individualverkehr. Das blieb für die Strecke zur Landwehrschänke natürlich nicht ohne Folgen, weil die Strecke sehr stark abseits der Verkehrsströme lag und an der Grenze zum Ricklinger Holz immer schon wenig Fahrgäste zustiegen. So musste das Wartehäuschen dann mit ansehen, wie der letzte Straßenbahnzug der Linie 7 am 27. März 1955 zum Abschied leise Servus sagte, denn ab dem Folgetag fuhr die Bahn nur noch bis zur Beekestraße. Die Zeit als Warteraum für Fahrgäste war nun leider endgültig vorbei, auch wenn auf der anderen Seite – an der Göttinger Chaussee – die „Gummireifen-Straßenbahn“ mit der neu eingerichteten Buslinie W vorbeifuhr. Bis heute wird das kleine Häuschen, inklusive der ehemaligen Warteräume, vom Steinmetzbetrieb genutzt.

Warteraum 2

So sieht das Wartehäuschen heute aus.

Jetzt, im Jahr 2015, erfährt die direkte Umgebung des Häuschens eine radikale Kur. Während alle Gebäude, die in direkter Nachbarschaft liegen, für den Ausbau der Bundesstraße 3 abgerissen werden, steht der ehemalige Warteraum immer noch dort – wie ein Fels in der Brandung. Wenn die Arbeiten zur neuen B3-Umgehung abgeschlossen sind, wird auf der Göttinger Chaussee mit dem Bau einer neuen Stadtbahnstrecke begonnen, die dann bis Hemmingen führen wird. Vielleicht kann „mein“ Häuschen so noch einmal von einem schicken, neuen TW 3000 beim Vorbeifahren gegrüßt werden. Zu wünschen wäre es ihm.

5 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Danke für den schönen Bericht! Ich kenne den Endpunkt noch als Grundschulkind (40er Jahre). Mein Großvater war auf dem Ricklinger Friedhof 1941 beerdigt worden. Zur Grabpflege ging es dann einige Male im Jahr mit der „7“ von der Haltestelle Calenberger / Humboldtstr bis zur Landwehrschänke. Um den teureren „Umsteiger“ zu sparen, gingen meine Mutter und ich von unserer Wohnung in der Königswortherstr. bis zur erwähnten Haltstelle zu Fuß. Auf der „7“ fuhren fast ausschließlich die Holzwagen (einer ist ja als Museumsfahrzeug noch erhalten) mit zwei Anhängern der gleichen Klasse. Auf dem Teilstück von der Beekestr. bis zur Landwehrschänke fuhr die Bahn dann (gefühlt) richtig schnell, was ich als kleiner Junge natürlich toll fand.

  2. Vielen Dank für diesen Beitrag! Endlich mal etwas von dieser interesanten Strecke. Gut kann ich mich noch aus Kindertagen an das Häuschen erinnern und auch an die Gleise, die am Mühlenholzweg entlang der Laubenkolonien führten und in denen ich bis zu deren Abbau herumspazieren konnte, weil keine Bahn mehr fuhr. Ich habe einmal im Walde im Raum der einstigen Strecke nach Überbleibseln geforscht, und habe „versteckte“ Spuren gefunden, aber nur sehr wenige. Es wäre schön wenn noch mehr Fotos von diesem Schienenweg auftauchen würden!

  3. Ich (fast 15) finde diesen Beitrag mega Interessant, und interessiere mich auch sehr stark für Üstra und deren Geschichte! Ich würde mich freuen, wenn sich mal jemand meldet mit dem ich darüber reden und noch mehr Infos bekommen könnte…

  4. Wie Klaus Breuer erging es mir, weil meine Großeltern dort auf den Ricklinger-Friedhof beerdigt worden sind, Anschließend sind meine Eltern zum Waldschloßchen gegangen, dort gab es ein Eis oder Kinderbier, Malzbier, für uns Kinder.

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