Ein ganz normaler Tag
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Ein ganz normaler Tag

Donnerstagmorgen, kurz nach sieben. Statt des Weckers klingelt mein Handy. „Morgen, Udo. Wir hatten einen schweren Unfall auf der Linie 7 stadtauswärts.“ Es ist mein Kollege Günter von der Stadtbahn. „Kollision mit einem Kleinlaster, sechs Verletzte. Der Laster liegt auf der Seite. Sieht ziemlich schlimm aus.“ Ist die Presse schon vor Ort? „Ja, jede Menge Fotografen.“ „Okay, ich mach mich gleich auf den Weg. Bis später.“

Raus aus dem Bett. Die Dusche fällt aus, kurze Katzenwäsche muss reichen. Dienstkleidung angelegt und runter in die Tiefgarage. Beim Starten des Wagens fällt mir ein, dass ich mir besser ein Butterbrot hätte schmieren sollen. Der Tag verspricht lang zu werden. Egal. Kafkastraße. Wo ist das überhaupt? Aha, in Misburg. Ins Navi eingeben und los. Das Navi liest offenbar nicht unsere Pressemitteilungen, sonst wüsste es, dass man seit heute um die Pferdeturmkreuzung besser einen weiten Bogen macht. Dort werden die Stadtbahngleise ausgewechselt. Als ich in der Staufalle stecke, wird mir klar, dass das Butterbrot eine prima Idee gewesen wäre.

Als ich an der Unfallstelle ankomme, geht es mittlerweile auf halb neun zu. Die Fotografen sind längst wieder weg, der Laster steht wieder auf seinen Reifen. Dass in die kleine Fahrerkabine sechs Leute gepasst haben sollen, überrascht mich. Angeblich ein Trupp rumänischer Hilfsarbeiter, der auf einen Hof links der Gleise abbiegen wollte und dabei die Stadtbahn übersehen hat, die hier sechzig fahren darf. Auch unsere Fahrerin – 28 Jahre alt, seit zwei Jahren im Dienst – wurde mit Schock abgelöst und zum Arzt gebracht. Das macht dann sieben Verletzte. Die Strecke wird wieder freigegeben, die Bahnen rollen.

Unfallstelle in Misburg. ( Foto: ÜSTRA)

Auf dem Weg ins Büro entdecke ich eine Tankstelle. Ich sag jetzt nicht, welche Marke. (Ist die mit der Muschel). Aha, mein Frühstück, denke ich, halte an, geh rein und frage nach einem belegten Brötchen. „Ham wa nich.“ Na super. Also ohne Frühstück ins Büro. Meine Laune hebt das nicht.

Nach unserer Morgenkonferenz geh ich kurz vor die Tür, nebenan ist so ein Steh-Italiener, der macht ganz passable Mortadella-Brötchen. Aber die Tür ist verschlossen. Am Donnerstagvormittag, um zehn Uhr? Normal ist das nicht. Ich rüttle an der Tür und klopfe an die Scheibe. Nichts tut sich. Vielleicht musste der Kellner mal aufs Klo. Ich muss zurück ins Büro, komme zu spät zu einer Sitzung. Worum es geht, habe ich schon nach fünf Minuten vergessen. Es ist eines von diesen Meetings, wo es nicht genügt, dass alles schon gesagt wurde, aber noch nicht von allen. Man sollte solche Treffen verbieten, sie sind eigentlich ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Bla bla bla. Dass mir nicht die Augen zufallen, liegt nur daran, dass mir der Magen knurrt.

Endlich gibt es Mittagessen. Normalerweise ein Grund zur Freude, denn unsere Kantine macht wirklich leckere und gesunde Sachen. Aber auch hier ist heute nicht mein Glückstag. Das grüne Gemüse-Curry ist so gar nicht mein Fall, und das andere Gericht – Fisch – ist schon aus. Lustlos stochere ich in dem grünen Gemisch aus Brokkoli, Zucchini und Zuckerschoten. Solches Essen ist bestimmt toll für das Karma, aber ich bekomme davon leider Depressionen. Heute Abend gibt es Pizza, beschließe ich.

Im Büro klingelt das Telefon. Die Betriebsleitstelle ist dran. Stromausfall im Bereich Kabelkamp bis Niedersachsenring. Die Linien 1 und 2 fahren nur noch bis Dragonerstraße, von da gibt es Schienenersatzverkehr mit drei Bussen bis zur Alten Heide und zum Berliner Platz. Mittlerweile hat die Temperatur in meinem Büro die 30 Grad-Marke deutlich überschritten. Eine Art Wüstenwind bläst Staub, Blätter und Blüten durch die Stadt. Am Himmel braut sich etwas zusammen. In der Ferne hört man Donnergrollen.

Als ich am Abend zuhause auf dem Balkon endlich über meine Pizza herfallen kann, ist die Luft mittlerweile so stickig, dass man sie umrühren muss, damit sie beim Einatmen runtergeht. Dann wird es so dunkel, als wäre es finsterste Nacht. Ein unfassbarer Sturzregen bricht über die Stadt herein. (Der Klimawandel ist real, Mr. Trump, und er geschieht jetzt.)

Im Süden, beim Guns N‘ Roses Konzert, haben die 60.000 Besucher Schutz vor dem Regensturm in drei Messehallen gesucht. Die Betriebsleitstelle meldet umgestürzte Bäume auf den Oberleitungen und muss schließlich sogar den Stadtbahnverkehr für kurze Zeit einstellen. Und jetzt zeigt die gute alte ÜSTRA ihre ganze Power: tausend Mal erprobte Krisenpläne greifen, Fahrkräfte machen Überstunden, Busse fahren Ersatzverkehr, die Störungstrupps rücken aus, um die Strecken wieder frei zu bekommen. Alle haben ein Ziel: die Konzertbesucher sicher nach Hause zu bringen.

Abfahrt nach einer Großveranstaltung an der Messe: Die ÜSTRA hat alles im Griff. (Foto: Florian Arp)

Hand in Hand mit der Feuerwehr, der Polizei und dem Konzertveranstalter Hannover Concerts gelingt es, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Das unterbrochene Konzert wird fortgesetzt, es ist schon Freitagfrüh, als die Besucher mit den Stadtbahnen zurück in die Stadt fahren. Nachsternverkehre um 1 Uhr und um 2 Uhr verteilen die Fahrgäste auf die Stadt. Um halb drei laufen die letzten Bahnen auf den Betriebshöfen ein. Geschafft. Wieder mal.

ÜSTRA Vorstand Wilhelm Lindenberg spendiert Geburtstagskuchen am Kröpcke. (Foto: Florian Arp)

Ach so, eins habe ich fast vergessen. Am Nachmittag haben wir in der Station Kröpcke gemeinsam mit dem Oberbürgermeister Stefan Schostok und dem Regionspräsidenten Hauke Jagau Kuchen an die Fahrgäste verteilt. Als Dankeschön für ihre Treue. Denn die ÜSTRA hatte gestern Geburtstag: Sie wurde vor genau 125 Jahren gegründet.

Alles Gute, altes Haus.

9 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Gut geschrieben. Habe ich mir auch gedacht alles am Geburtstag. Aber hat sich nicht geändert. Alle packen in so einer Situation tatkräftig mit an. Die üstra war, ist und bleibt eine große Familie . Alles Gute

  2. Wunderschön geschrieben.
    Ein echter literarischer Leckerbissen im Fahrtenbuch.
    Bitte mehr in dieser Form!

    Großen Applaus vom

    TW6000 Liebhaber

  3. Unwetter sind schwierig zu koordinieren, da kann man nur, wenn überhaupt, sehr begrenzt planen. Das in solchen Situationen nicht alle Linien an ihr Ziel kommen, ist verständlich. Veranstaltungsverkehre sind aber planbar. Wie man an der dynamischen Fahrgastinformation erkennen kann, hat die Veranstaltungslinie 16 scheinbar mehrere Endpunkte. Im Liniennetzplan gibt es jedoch nur zwei davon, und zwar „Königsworther Platz“ und „Messe/Ost (EXPO-Plaza)“. Warum fährt diese Linie 16 nicht nach dem Liniennetzplan und warum wird für abweichende Endpunkte, die die Linie 16 laut Liniennetzplan nicht ansteuert, keine andere Liniennummer verwendet? Bei Veranstaltungsverkehren zur HDI-Arena fährt ja auch die Linie E zur Stadionbrücke und keine Linie 16. Die Linie E wird zumindest als „Verstärkungszug“ angesagt. Das wäre doch für auswärtige Fahrgäste besser zu verstehen. Wenn die Linie 16 in der Realität nicht nach dem Liniennetzplan fährt, ist diese Linie nicht fahrgastfreundlich, insbesondere nicht für auswärtige Fahrgäste.

    • Die Linie 16 hat keine anderen Endpunkte. Die Endhaltestellen, die sie auf dem Foto sehen, ist die letzte Haltestelle vor dem Betriebshof Leinhausen. Das liegt daran, dass dieses Foto von den Einläufern ist. Diese Fahren tatsächlich dann direkt zum Betriebshof. Die vorherigen Bahnen sind zum Königsworther Platz gefahren, wie es auch im Liniennetzplan angegeben wird.

      • Vielen Dank für Ihre Antwort! Sie haben in der Tat Recht, dass Verstärkungszüge nicht mit der Linienbezeichnung „E“, sondern als Zahl angegeben werden und somit nicht als Linie „E“ an der dynamischen Fahrgastinformation erscheinen, zumindest nicht im Listenmodus. Fahren jedoch Stadtbahnen in die Haltestelle ein, werden Stadtbahnen mit der Linienbezeichnung „E“ als solche angezeigt und als „Verstärkungszug“ angesagt. Leider war es in der Realität so, dass nicht jede Linie 16 die Ziele „Königsworther Platz“ und „Messe/Ost“ angesteuert hat, wie es im Liniennetzplan dargestellt wird. Ich habe auch die Zugzielanzeigen „16 Hauptbahnhof“, „16 Kröpcke“, „16 Fuhsestraße/Bhf.“, „16 Döhren/Bhf.“ und inzwischen auch „16 Freundallee“ an den Stadtbahnen gesehen. Mir wurde vor Kurzem bestätigt, dass die Endpunkte der Linie 16 variabel angesteuert werden sollen und der Liniennetzplan für die Linie 16 nicht maßgeblich ist, sondern die jeweilige Zugzielanzeige. Die Linie 16 ist zwar eine Veranstaltungslinie, allerdings würde ich mir wünschen, dass gerade eine Veranstaltungslinie, die von vielen auswärtigen Fahrgästen genutzt wird, möglichst leicht nachvollziehbar sein sollte.

  4. Moin! Interessant, was alles am „125. Geburtstag der ÜSTRA“ passierte. Toll, dass die Konzertbesucher nach dem Konzert um 1:15 Uhr noch mit der ÜSTRA fahren konnten! Können Sie mir verraten, ob es eine aufgebackene „Tiefkühl-Pizza“, eine Pizza vom Bringdienst oder eine selbstgemachte Pizza war? Danke für die Antwort im Voraus! Einen guten Sommer noch wünscht Ihnen Stefan Fastenau.

    • Das war eine Pizza einer neueren, aber wohl sehr erfolgreichen, hannoverschen Pizzamanufaktur (mit Standorten in Linden, Innenstadt und der Nordstadt), die aber abgeholt wurde. Es ist also ein Mix aus „Pizzeria“ und Bringdienst. LG

  5. Auf dem einen Foto ist Vorstand Wilhelm Lindenberg zu sehen, wie er die Üstra-Geburtstagskuchen am Kröpcke verteilt. Leider hatte ich keine Gelegenheit, mich selbst um einen anzustellen. In der HAZ hatte ich allerdings gelesen, dass ursprünglich nicht geplant war, kleine abgepackte Küchlein zu verteilen. Vielmehr sollte ein richtig großer Geburtstagskuchen angeschnitten werden und die Stücke dann verteilt werden. „Wegen der Hygieneverordnung wurde aus der Torte jedoch nichts.“, stand in der HAZ zu lesen. „Jagau und Schostok verteilen Kuchen“ HAZ vom 22.6.2017 http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Zum-125-jaehrigen-Jubilaeum-der-Uestra-haben-untzer-anderm-Oberbuergermeister-Stefan-Schostok-und-Regionspraesident-Hauke-Jagau-Kuchen-an-die-Fahrgaeste-der-Uestra-verteilt
    Dass das Anschneiden und Verteilen von Kuchen an der Hygiene-Verordnung scheiterten, wundert mich, denn in der U-Bahn-Station Kröpcke werden doch auch frisch geschmierte Brötchen verkauft.
    Und ich beobachte auch immer wieder Menschen, bisweilen zähle ich selbst dazu, die in der U-Bahn-Station zum Beispiel ein belegtes Brötchen essen. In dem Beitrag oben von Udo Iwannek erzählt der Üstra-Pressesprecher ja selbst davon, wie schwierig es bisweilen sein kann, ein „Zwischendurch-Frühstück“ einzunehmen. Da bin ich dann manchmal froh, wenn es beim Warten auf die Stadtbahn klappt. Dass dabei jedoch Hygiene-Bedenken zu beachten sind, war mir bisher nicht klar gewesen. Sollte ich in Zukunft besser auf das „Zwischendurch-Frühstück“ in der U-Bahn-Station verzichten? Ist es dort wirklich so schmutzig?

    • Ja, am Kröpcke werden frische Brötchen verteilt. Die VerkäuferInnen haben aber ein Gesundheitszeugnis und müssen dieses regelmäßig bestätigen lassen. Wir hätten die Herren also entweder vorab zum Gesundheitsamt schicken oder ihnen abgepackten Kuchen geben können. Hinzu kommt, dass es am 22. sehr heiß war und uns jede Sahnetorte wahrscheinlich eh davon geschmolzen wäre. ;)

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